Maria Donig – aus der Heimat vertrieben 1925 bis 1945

Die Reise von Maria beginnt 1925 in Rudelsdorf, Mährisch-Schlesien. 1938 bricht der Zweite Weltkrieg aus. Mährisch-Schlesien wird zum Sudeten-Reichsgau. Die Sudeten-Deutschen werden wieder hoch angesehen. Nach dem Kriegsende werden sie mit 25. Oktober 1945 von Benesz durch das Dekret 108 aus ihrer Heimat vertrieben.

Hallo ich bin Maria, ich wohne in Rudelsdorf und wir schreiben das Jahr 1925. Ich bin eine Überraschung für meine Familie. Ob mein großer Bruder Rudi so begeistert ist, weiß ich nicht. Immerhin ist er gute 21 Jahre älter als ich.

Meine Heimatgemeinde liegt in Mährisch-Schlesien. Ich wachse in einem liebevollen Umfeld auf und werde als Nesthäkchen sehr verwöhnt. Meine Eltern sind zwar streng, doch so richtig streng ist nur mein großer Bruder mit mir.

Noch während meiner Schulzeit stirbt mein Vater 1937 und meine Nichte Hilde wird geboren. Die Stimmung im Land hat sich verändert, als Deutschsprechende werden wir nicht überall gut behandelt. Meine Freundinnen und ich können trotzdem unsere Kindheit genießen.

1938: Mein Bruder Rudi, der zuerst bei der tschechischen Armee dient, schließt sich später der deutschen Armee an und die Stimmung in unserem Gebiet dreht sich. Jetzt werden wir wieder geachtet, sagt meine Mama. Nach der Grundschule darf ich die Handelsschule besuchen. Auch meine Freundinnen sind dabei und so macht mir meine Ausbildung besonders viel Spaß. Lernen ist etwas Wunderbares und Lesen liebe ich. In der Bibliothek gibt es auf einmal weniger Bücher, ganze Regalböden sind auf einmal leer gefegt. Die Leute tuscheln, ich soll nicht nachfragen, wo sie sind. Unsere tschechischen Nachbarn sind auf einmal weggezogen, ich verstehe das nicht, immerhin geht es ja jetzt wieder allen besser.

Der Abschluss der Handelsschule naht, der Abschluss wird gut ausfallen, ich bin stolz auf mich. Im Zug nach Wien lerne ich einen jungen Soldaten aus Österreich kennen, Michael ist schon weit herum gekommen, er erzählt mir von den vielen Städten, die er schon gesehen hat. Ich würde auch so gerne reisen. Wir verlieben uns, die Schule ist abgeschlossen und ich trete meine erste Arbeitsstelle an. Ich bin nicht alleine im Gebäude der Raika in Mährisch-Schöneberg, auch meine Freundinnen haben hier einen Posten bekommen. Wir hören furchtbare Geschichten über den Krieg. Wir sind entsetzt.

Mein Liebster wird verwundet, er hat eine Schusswunde in der rechten Schulter. Ich muss zu ihm. Gott sei Dank – er lebt! Er kommt mich besuchen. Ich soll an die Front zum Arbeitsdienst verlegt werden, ich will nicht weg, kann doch meine Familie nicht alleine lassen. Meine Schwägerin hat ihre zweite Tochter Inge bekommen und meine Mutter braucht auch Hilfe. Mein Bruder ist gerade auf Heimaturlaub. Michael und ich beschließen zu heiraten, so wird mir der Arbeitsdienst an der Front erspart bleiben. Mein Ehemann ist wieder weg, zurück bei seiner Einheit der 6. Armee. Er ist bei den Pionieren, er hat mir erklärt, was das bedeutet. Ich träume nur von Toten, die Angst ist mein täglicher Weggefährte. Ins Kino gehe ich, um Nachrichten von der Front zu sehen. Es wird immer nur vom Gewinnen erzählt, es sieht nur nicht so aus. Die Berichte sollen uns Mut machen, aber die Zerstörung ist überall.

Der Krieg ist zu Ende, von meinem Liebsten und meinem Bruder hören wir nichts. Wir müssen schauen, dass wir von hier wegkommen. Eine Zukunft wird es in unserem schönen Heimatort nicht geben. Unsere Heimat gehört jetzt zur Tschechoslowakei und wir sind die jetzt die deutsche Minderheit. Wir sind hier nicht mehr willkommen. Österreich wäre näher, aber meine Mutter will nach Deutschland. Wie wir sind viele andere auch unterwegs, wir haben nichts mehr, keine Heimat, kein Elternhaus, nichts. Wir haben unsere Kleider übereinander angezogen, Mama hat uns den Familienschmuck in verschiedenen Schichten der Kleider eingenäht. Was haben wir alles zurückgelassen. Immer wieder werden wir beschimpft, wir gehören jetzt zu den Verlierern – und so werden wir auch behandelt. Nach vielen Wochen sind wir in Deutschland angekommen, meine Mama hat Verwandte in der Nähe von München, die uns aber nicht aufnehmen. Wir kommen bei einem Bauern unter und arbeiten schwer. Aber wir haben ein Dach über den Kopf und hungern müssen wir auch nicht.

Wir wissen noch immer nichts von meinem Bruder Rudi, ob ich meinen Ehemann wiedersehen werde, weiß ich nicht. Ich habe keine Tränen mehr, wir müssen weiterleben. Ich muss weiterleben. Es kommen Nachrichten von der 6. Armee, die Truppe kommt von Spielfeld und geht nach Deutschland. Er lebt, mein Michael lebt. Er wird verwundet und kommt in amerikanische Gefangenschaft. Im Spital wird er zusammengeflickt und dann schmeißen sie ihn hinaus. Er ist Österreicher und soll nach Hause gehen. Da ich durch die Heirat mit ihm Österreicherin geworden bin, holt er mich ab und wir machen uns auf den Weg in seine Heimat. Er hat mir von Goberling erzählt, ein noch kleineres Nest als Rudelsdorf soll es sein. Was wird uns dort erwarten. Werden wir Arbeit finden? Goberling liegt in der russischen Zone, die Geschichten über die Russen lassen mich nicht schlafen, ich habe Angst. Hört die Angst denn nie auf?

Ich bin neugierig auf meine angeheiratete Verwandtschaft, erzählt hat er mir nicht viel Gutes von ihnen. Immer wieder übermannt mich das Heimweh nach meiner Familie, ob sie von meinem Bruder schon etwas wissen. Ich gehe mit meinem Ehemann. Ob ich dort eine zweite Heimat finde? 1945

2 Kommentare zu „Maria Donig – aus der Heimat vertrieben 1925 bis 1945

  1. Ein berührender Text! Gibt es eine Fortsetzung? Ich wäre gespannt, wie es Maria in Goberling ergangen ist.

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